von Corinna Rückert (Kulturwissenschaftlerin & Autorin erotischer Literatur)
Die Filmproduktion, der wir hier eine Auster verleihen möchten, hat echte Kontroversen ausgelöst, in der Jury ebenso wie international.
Als die schwedische Kurzfilm-Sammlung „Dirty Diaries, 12 shorts of feminist porn“ im September 2009 herauskam, wurden vor allem 2 Aspekte heiß diskutiert: zum einen die Tatsache, dass die Produktion mit 50.000 Euro des Schwedischen Film Instituts staatlich gefördert wurde, zum anderen die Kombination der beiden Konzepte „Feminismus“ und „Pornographie“.
Und dies sind ganz genau die Gründe dafür, dass wir die Produzentin dieses Films heute ehren wollen: zum einen weil sie eine staatliche Organisation dazu gebracht hat anzuerkennen, dass die filmische Darstellung sex-positiver Pornographie förderungswürdig ist, zum anderen, gerade weil sie es geschafft hat, feministische Überzeugungen mit pornographischen Bilder zu verbinden, indem sie sich an die Forderungen ihres eigenen Manifests gehalten hat.
Daraus möchte ich ein paar Punkte zitieren, die meiner Meinung nach ausreichen, um allen Kritikerinnen und Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen:
1. Wir sind schön, so wie wir sind! Zur Hölle mit den kranken Schönheitsidealen. (Beautiful the way we are. To hell with the sick beauty ideals!
2. Kämpfe für Dein Recht, geil zu sein. Sei geil auf Deine eigene Art und Weise. (Fight for your rights to be horny. Be horny on your own terms.)
7. Kämpfe gegen den richtigen Feind! Zensur kann Sexualität nicht befreien. Es ist unmöglich, das Bild weiblicher Sexualität zu verändern, wenn sexuelle Bilder an sich Tabu sind. (Fight the real enemy! Censorship cannot liberate sexuality. It is impossible to change the image of women’s sexuality if sexual images in themselves are taboo.)
8. Bleib verquer, seltsam, sonderbar und verrückt. Sexualität ist mannigfaltig und facettenreich. (Stay Queer! Sexuality is diverse.)
10. Mach es selbst. Erotika sind gut und wir brauchen sie. Wir glauben, dass es möglich ist, eine Alternative zur Mainstream-Porno-Industrie zu erschaffen, indem wir sexy Filme machen, die wir mögen. (Do it yourself. Erotica is good and we need it. We truly believe that it is possible to create an alternative to the mainstream porn industry by making sexy filmst hat we like.)
Es ist mir ein Rätsel, wie irgendein vernunftbegabter Mensch an der Richtigkeit dieser Forderungen zweifeln kann, aber die Theorie ist das eine, die Praxis etwas ganz anderes.
Mia Engberg erzählt zu der Entstehung der „Dirty Diaries“ etwas sehr Interessantes: Vor ein paar Jahren wurde sie eingeladen einen Kurzfilm für das Stockholmer Film-Festival mit dem Handy zu drehen. Sie produzierte „Come together“, in welchem Frauen ihr eigenes Gesicht beim Masturbieren filmen. Der Film wurde im Internet veröffentlicht und rief starke Reaktionen hervor mit vielen negativen Kommentaren wie „Zur Hölle, wie hässlich die sind. Sie hätten ja wenigstens Make-up auflegen können!“ Die Anfeindungen zeigen, wie sehr wir immer noch in der althergebrachten Vorstellung gefangen sind, dass weibliche Sexualität vor allem dem Auge des Betrachters zu gefallen hat – und nicht der Frau selbst.
Unsere Preisträgerin hat aus diesen Erkenntnissen die einzig richtige Schlussfolgerung gezogen: Ganz konsequent hat sie sich dazu entschieden, noch mehr Filme dieser Art zu zeigen und lud Künstlerinnen, Filmemacherinnen und Aktivistinnen dazu ein, ihre eigenen feministischen Pornos mit dem Handy zu drehen.
Et voilà! Rausgekommen ist die facettenreichste Pornofilm-Sammlung, die ich kenne und die nicht weniger kontrovers diskutiert wird wie der Masturbationsfilm „Come together“, obwohl oder vielleicht gerade weil die Forderungen des Manifests rigoros umgesetzt wurden.
Die Handyfilme zeigen eine wunderbare Vielfalt von hetero-, homo-, genderplay-Szenen, es gibt Rangeleien zwischen Frauen, eine Exhibitionistin, die sich den öffentlichen Raum erobert, und einen Comic, der in unserer Jury für Diskussionen gesorgt hat.
Ist es ein Männer verachtendes Statement, wenn eine masturbierende Frau einen kleinen wichsenden Mann als Dildo benutzt? Dürfen mein Mann und ich diese Szenen anregend finden? Ist es political incorrect, einen Mann zum Lustobjekt weiblicher Fantasien zu machen?
Wir haben unsere Antwort darauf gefunden, in dem wir Mia Engberg eine Auster verleihen.
Schaut Euch die „Dirty Diaries“ an und findet eure eigene Antwort.
Stay Queer! And Do It Yourself!