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Eine Auster für die „sexpositive“ Lust
Im Oktober wird in Berlin zum zweiten Mal der „Feministische Porno-Filmpreis Europa“ verliehen. Das Event ist auch für den schwulen Porno relevant.
Von Carsten Weidemann
Wer die Chance hat, sich mit Freunden intensiver und ernsthaft über das Thema Pornographie auszutauschen, der stößt schnell auf ein allgemeines Unbehagen. Die schwulen Männer beklagen die Einfalls- und Lustlosigkeit vieler Produktionen, dass dilettantische Genitalien-Gestocher zwischen Männern, die sexuelle Erregung nur schlecht vortäuschen. Bei den lesbischen Frauen dagegen hängt noch sehr die von Alice Schwarzer angestoßene PorNo-Kampagne im Kopf, die sich zwar mit ihren Verbots-Forderungen auf einem Holzweg begab, die aber immerhin mit dafür gesorgt hat, dass das sexistische und menschenfeindliche der üblichen Pornografie entlarvt wurde.
Doch seit dem Beginn der Frauenbewegung in den 70ern existiert ein Flügel, der sich für eine positive Darstellung von Sexualität und eine feministische Pornografie einsetzt. Diese Fraktion nennt sich sexpositiver Feminismus oder kurz PorYes. Aktuelle Studien belegen, dass die Einstellungen von Frauen zu Pornografie deutlich differenzierter ist als vor 30 Jahren: Auf der einen Seite ist eine hohe Sensibilisierung für diskriminierende und gewaltvolle Darstellungen und Verhalten gegen Frauen zu verzeichnen, auf der anderen Seite eine Aufgeschlossenheit für sexuelles Experimentieren, das auch für pornografische Darstellungen gilt.
Auch ein schwuler Porno kann feministisch sein
Ergebnis dieser entspannten Haltung ist die Gründung des „Feministischen Pornofilmpreis Europa“, der 2009 zum ersten Mal verliehen worden ist. Pornoqueen und Performancekünstlerin Annie Sprinkle sowie die feministische Pornomacherin Candida Royalle bekamen den Award in Form einer Auster überreicht. Mitte Oktober wird eine vierköpfige Jury bestimmen, welche Produktionen und Personen in diesem Jahr ausgezeichnet werden sollen. Die Initiatorin des Pornofilmpreises, die Sexpertin Laura Méritt und ihr Team haben sich nicht gerade kleine Ziele gesetzt: „Wir wollen den herkömmlichen Pornomarkt revolutionieren und wir wollen zeigen, dass es frauengerechte Pornos gibt, in denen die weibliche Lust im Mittelpunkt steht, in denen eine Vielfalt an sexuellen Praktiken gezeigt wird und in denen Frauen auch maßgeblich an der Produktion beteiligt sind.“
Aber was genau ist denn nun ein feministischer Porno? Auf der PorYes-Website sind die Kriterien gelistet. Dazu gehören zum Beispiel: „Sex-positive Grundeinstellung, keine menschen- und frauenverachtenden Darstellungen. Ethische Arbeitsbedingungen / Safer-Sex- Einsatz. Die Agierenden werden in Beziehung zueinander gezeigt, Augen-, Haut-, Hände- und Körperkontakt, Energieaustausch. Keine schematische Darstellung der sexuellen Höhen-Verlaufskurve, d.h. kein geradliniges Hinarbeiten auf die Ejakulation des Mannes, keine Betonung männlicher Cumshots. Orgasmen sind nicht das einzige Ziel.“ Schwule Pornos können deshalb durchaus auch feministisch sein und werden als potentielle Preisanwärter auch erwähnt. Die fast ausschließlich männlichen Produzenten von Gay-Pornos können bei den Macherinnen von sexpositiven Frauenfilmen eine Menge lernen. Wie schön wäre es, wenn statt Leistungsshows mit geklonten Männern Emotionen zu sehen, und wenn statt künstlichem Gestöhne wahre Lustseufzer zu hören wären. Das wäre geil…